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Kampf der silbernen Giganten

2023

Als Anfang der 1930er-Jahre die Motoren der Grand-Prix-Wagen zum ersten Mal über 600 PS kletterten, war das nicht das Produkt einer einzigen genialen Idee, sondern das Ergebnis eines mörderischen Wettrüstens. Zwei Werke trieben sich gegenseitig immer weiter: Mercedes-Benz und Auto Union.

Beide bauten Autos, die auf dem Papier wie technische Utopien wirken – und auf der Strecke kaum noch beherrschbar waren.

1934 führt der internationale Automobilsport die berühmte 750 kg-Formel ein: Ein Grand Prix-Wagen darf – ohne Treibstoff, Öl, Wasser, Reifen – maximal 750 Kilogramm wiegen. Hubraum ist dagegen praktisch frei. Die Funktionäre glauben, so die Wagen zu zähmen. In Wahrheit passiert das Gegenteil: Ingenieure packen immer größere, stärker aufgeladene Motoren in immer leichtere Chassis. Die Leistungsdichte explodiert.

Parallel dazu fördert das NS-Regime den Motorsport massiv. Mercedes bekommt hohe Staatszuschüsse, Auto Union ebenfalls – beide sollen die „Überlegenheit deutscher Technik“ beweisen. Die Grand Prix werden zu rollenden Propaganda-Schaukästen.

Ab 1938 wird das Reglement erneut geändert: jetzt sind die Hubräume begrenzt – auf 3,0 l für aufgeladene Motoren, 4,5 Liter für Sauger. Die Autos sind nicht mehr durch das Gewicht, sondern durch den Motor definiert.

Diese zwei Formeln – 750 Kilogramm und drei Liter – rahmen das Wettrüsten von Mercedes und Auto Union ein.

Bevor die Silberpfeile kommen, fährt Mercedes noch ganz klassisch: schwere Sportwagen mit riesigen Reihen-Sechszylindern und Kompressor. Der SSKL – der legendäre „Weiße Elefant“ – gewinnt 1931 mit Rudolf Caracciola die Mille Miglia. Gewaltig, bollernd, bretthart. Aber für eine 750-kg-Formel völlig ungeeignet.

Die Ingenieure in Stuttgart müssen neu denken: leichter, kompakter, mehr Leistung pro Kilo.
Kapitel 2.1 – Der Mercedes W25: der erste Silberpfeil (1934–1936)

Der W25 ist die Antwort: ein kompakter Monoposto mit Frontmotor, ganz auf die 750-kg-Grenze hin konstruiert. Unter der langen, schmalen Haube steckt ein Reihen-Achtzylinder mit Kompressor, der über die Jahre immer weiter aufgebohrt wird.

Beim Debüt 1934 hat der Motor gut 3,3 Liter Hubraum und rund 320 PS. Ein Jahr später sind es schon knapp 4 Liter und über 400 PS, 1936 schließlich bis zu 4,7 Liter und fast 490 PS – bei praktisch gleichem Fahrzeuggewicht. Die Leistungsdichte steigt in atemberaubendem Tempo.

Fahrdynamisch ist der W25 klassisch: Motor vorn, Getriebe an der Hinterachse (Transaxle), vorn Doppelquerlenker, hinten erst Pendel-, später De-Dion-Achse. Für damalige Verhältnisse ist das Auto stabil und gutmütig – zumindest im Vergleich zu dem, was noch kommt.

Schon 1934 gewinnt ein W25 beim Eifelrennen auf dem Nürburgring. 1935 dominiert Mercedes die Saison – Caracciola wird Europameister. 1936 aber kippt das Bild: der immer schwerer und bissiger gewordene W25 wird zickig, verschleißt Reifen und Fahrer, während Auto Union mit dem Typ C zur großen Attacke bläst.
Technik-Steckbrief: Mercedes-Benz W25

Baujahre: 1934–1936

Reglement: 750-kg-Formel

Motor: Reihen-8, DOHC, 4 Ventile/Zylinder, Roots-Kompressor

Hubraum:

1934: ca. 3,36 l

bis 1936: bis ca. 4,7 l

Leistung: ca. 314–490 PS

Layout: Frontmotor, Getriebe an der Hinterachse (Transaxle), Hinterradantrieb

Fahrwerk: vorn Doppelquerlenker, hinten Pendelachse → später De-Dion, Schraubenfedern

Vmax: deutlich > 280 km/h, je nach Übersetzung und Strecke

Während Mercedes den klassischen Weg geht, setzt Auto Union auf eine Revolution: den Mittelmotor-Grand-Prix-Wagen. Der Motor kommt nicht mehr vor die Vorderachse, sondern hinter den Fahrer, vor die Hinterachse – genau dort, wo heute jeder moderne Formel-1-Wagen sein Triebwerk trägt.

Entwickelt wird der erste Auto-Union-Rennwagen unter anderem von Ferdinand Porsche. Das Projekt heißt intern schlicht „P-Wagen“. 1934 debütiert der Typ A: ein V16-Motor im Rücken des Piloten, knapp 4,4 Liter Hubraum, rund 295 PS.

Die Idee ist genial – aber heikel. Durch den Motor im Heck liegt viel Gewicht auf der Hinterachse: Das bringt Traktion beim Herausbeschleunigen, macht das Auto jedoch im Grenzbereich extrem tückisch. Übersteuern, sobald der Fahrer einen Tick zu früh ans Gas geht.
Kapitel 3.1 – Auto Union Typ A und B: Lernen mit dem V16 (1934–1935)

Im Typ A geht es vor allem darum, das Konzept überhaupt fahrbar zu machen. Das klappt – mit Einschränkungen. Die frühe Auto Union ist sauschnell auf Geraden und am Berg, aber im Handling nicht so souverän wie der Mercedes.

1935 kommt der Typ B: der V16 wird auf knapp 5 Liter aufgebohrt, leistet gut 370 PS, Aerodynamik und Fahrwerk werden verfeinert. Das Auto wird schneller, aber noch nicht deutlich überlegen. Gegen den gereiften Mercedes W25 reicht das nur zu Einzel-Siegen – der Europameister 1935 heißt erneut Caracciola im Mercedes.

Baujahre: Typ A 1934, Typ B 1935

Reglement: 750-kg-Formel

Motor: V16-Mittelmotor, Roots-Kompressor

Hubraum:

Typ A: ca. 4,36 l

Typ B: ca. 4,95 l

Leistung:

Typ A: ~295 PS

Typ B: ~370–375 PS

Layout: Mittelmotor hinter dem Fahrer, Getriebe hinten, Hinterradantrieb

Fahrwerk: Starrachse hinten, vorn Querlenker, Blatt- bzw. Torsionsfedern je nach Ausführung

Einsätze: Grand Prix, Bergrennen, frühe Stromlinienversuche

Im Typ C dreht Auto Union den Regler voll auf Anschlag. Der V16 wächst auf rund 6 Liter Hubraum, leistet über 500 PS, teils noch mehr, und hängt direkt hinter dem Rücken des Fahrers.

Plötzlich hat Auto Union ein Auto, das aus engen Kurven heraus wie ein Schleudergeschoss nach vorne schießt. Die enorme Traktion der Hinterachse, kombiniert mit dem brutalen Drehmoment des 6-Liter-V16, macht den Typ C vor allem auf welligen, rutschigen Strecken brandgefährlich schnell – aber auch für den Fahrer zur Hochrisiko-Maschine.

Der junge Bernd Rosemeyer wächst mit diesem Auto zusammen. Er fährt den Typ C, als wäre er Teil seines Körpers: gleiten, korrigieren, tanzen auf dem Gas. 1936 wird Auto Union mit ihm zur dominierenden Marke – Rosemeyer wird Europameister, Auto Union gewinnt den Großteil der großen Grands Prix.

Oben drauf kommen Spezialversionen: Bergwagen mit kürzerem Radstand und teils Zwillingsreifen hinten; sowie Stromlinienkarossen für extrem schnelle Strecken wie die Avus.

Baujahre: 1936–1937

Reglement: 750-kg-Formel

Motor: V16-Mittelmotor, 6,0 l, Roots-Kompressor

Leistung: ca. 520+ PS

Besonderheit: extrem hohes Drehmoment, sehr hecklastige Gewichtsverteilung

Chassis: Rohrrahmen, hinten Starrachse, Torsions- oder Blattfedern, vorn Doppelquerlenker

Spezialversionen: Bergwagen, Stromlinienkarosserien für AVUS

Vmax: deutlich jenseits 300 km/h, je nach Übersetzung und Karosserie

1936 musste Mercedes zusehen, wie Auto Union mit dem Typ C dominierte. Die Antwort heißt W125 – konstruiert von Rudolf Uhlenhaut. Das Ziel ist einfach formuliert: alles besser. Mehr Leistung, bessere Fahrbarkeit, stabileres Fahrwerk.

Der neue Reihen-Achter hat nun 5,6 Liter Hubraum und leistet um die 600 bis 630 PS – aus heutiger Sicht eine Formel-1-Zahl, damals schiere Science Fiction. Das Fahrwerk ist konsequent auf Fahrbarkeit getrimmt: De-Dion-Hinterachse, sorgfältig abgestimmte Torsionsstabfederung, sehr steifer Rohrrahmen. Der W125 gilt vielen Historikern bis heute als der stärkste Grand-Prix-Wagen, der je in einer WM-ähnlichen Serie eingesetzt wurde.

Das Ergebnis: 1937 ist das Mercedes-Jahr. Caracciola holt wieder den Europameistertitel, der W125 gewinnt Grand Prix um Grand Prix – und zeigt, wie weit man die 750-kg-Formel ausreizen kann, bevor sie ins Absurde kippt.

Neben der GP-Version entstehen Stromlinien-Varianten für Hochgeschwindigkeitsrennen und ein eigener W125-Rekordwagen mit V12 für reine Geschwindigkeitsrekorde auf der Autobahn – über 430 km/h.

Baujahr: 1937

Reglement: 750-kg-Formel

Motor: Reihen-8, 5,6 l, DOHC, Roots-Kompressor

Leistung: ca. 595–640 PS

Drehmoment: > 800 Nm

Fahrwerk: vorn Doppelquerlenker, Schraubenfedern; hinten De-Dion, Torsionsstäbe

Getriebe: 4-Gang-Transaxle

Vmax: > 300 km/h im Grand Prix, deutlich mehr in Stromlinienausführung

Mit der Dreiliter-Formel ab 1938 müssen beide Werke komplett neu denken. Die Motoren werden kleiner, die Drehzahlen steigen, die Kompressor-Technik wird raffinierter.

Mercedes entwickelt einen völlig neuen Wagen: den W154. Unter der flachen Haube arbeitet ein kompakter V12 mit rund 3 Litern Hubraum, gespeist von zweistufigen Roots-Kompressoren. Je nach Ausbaustufe leistet der Motor zwischen etwa 430 und knapp 480 PS.

Der Wagen ist deutlich kleiner und gedrungener als der W125, aber durch die Motortechnik nicht weniger beeindruckend. Die Fahrbarkeit ist hoch, die Gewichtsverteilung sehr sorgfältig getrimmt. 1938 dominiert Mercedes mit dem W154 die Saison – Caracciola holt den nächsten Europameistertitel.

1939 wird der Motor weiterentwickelt und häufig als M163 bezeichnet, der Wagen in vielen Quellen als „W163“ geführt – technisch ist es eine verfeinerte W154-Evolution, keine völlig neue Konstruktion.

Baujahre: 1938–1939

Reglement: 3-Liter-Formel (aufgeladen)

Motor: V12, ca. 2,96 l, zweistufiger Roots-Kompressor

Leistung: ca. 430–480+ PS

Fahrwerk: Rohrrahmen, vorn Doppelquerlenker, hinten De-Dion, Torsionsstäbe

Getriebe: Fünfgang-Transaxle

Besonderheit: sehr große Tankvolumina, teils Zweitank-System zur Gewichtsverteilung

Als der Grand Prix von Tripolis 1939 auf eine 1,5-Liter-Voiturette-Formel umgestellt wird – gedacht als Vorteil für Alfa Romeo – reagiert Mercedes mit einem Coup: In wenigen Monaten entsteht der W165, ein verkleinerter, hochgezüchteter Voiturette-Wagen mit V8-Motor.

Der 1,5-Liter-V8 leistet rund 250 PS bei sehr hohen Drehzahlen. Das Auto fährt nur ein einziges richtiges großes Rennen – eben Tripolis 1939 – und gewinnt dort auf Anhieb mit Hermann Lang vor Caracciola. Dann bricht der Krieg aus, und der W165 bleibt eine brillante Randnotiz.

Baujahr: 1939

Reglement: 1,5-Liter-Voiturette

Motor: V8, ca. 1,5 l, DOHC, Roots-Kompressor

Leistung: ca. 250–254 PS

Layout: stark verkleinerter W154-Aufbau

Einsatz: praktisch nur Tripolis-GP 1939 – Doppelsieg für Mercedes

Auch Auto Union muss für 1938 neu zeichnen: Aus dem großen V16 wird jetzt ein kompakter V12 mit 3 Litern Hubraum – der Typ D entsteht. Konzept: das bewährte Mittelmotor-Chassis, aber mit modernerem Fahrwerk (De-Dion hinten) und einem sehr hochdrehenden Kompressormotor.

1938 leistet der V12 zunächst etwa 420 PS, 1939 durch zweistufige Aufladung dann im Bereich von 470–480 PS. Damit liegt Auto Union leistungsmäßig auf Augenhöhe mit Mercedes.

Sportlich sind die Erfolge gemischt, aber eindrucksvoll: Tazio Nuvolari gewinnt 1938 im Typ D den Großen Preis von Italien in Monza und den Donington-Grand-Prix in England – zwei der wichtigsten Prestige-Siege Auto Unions überhaupt.
Technik-Steckbrief: Auto Union Typ D

Baujahre: 1938–1939

Reglement: 3-Liter-Formel (aufgeladen)

Motor: V12-Mittelmotor, ca. 3,0 l, Roots-Kompressor (später zweistufig)

Leistung: ca. 420 PS (1938), bis ~470–485 PS (1939)

Fahrwerk: Rohrrahmen, vorn Doppelquerlenker, hinten De-Dion, Torsionsstäbe

Besonderheit: deutlich fahrbarer als Typ C, aber immer noch hecklastig und sehr anspruchsvoll

Kapitel 7 – Stromlinien, Rekorde, Bergrennen: Wenn „schnell“ nicht reicht

Das Wettrüsten endet nicht an der Ziellinie eines Grand Prix.

Beide Werke experimentieren parallel mit Stromlinienkarosserien und Spezialversionen:

– Auf der Berliner Avus fahren sowohl Mercedes (W25/W125 Stromlinie) als auch Auto Union (Typ C/D Stromlinie) mit voll verkleideten Wagen, die Geschwindigkeiten deutlich jenseits 350 km/h erreichen. Die langen, geneigten Steilkurven machen die Strecke zu einem Hochgeschwindigkeitslabor.

Mercedes baut mehrere Rekordwagen:

– Auf Basis des W25 und später des W125 entstehen Spezialchassis mit riesigen Kompressormotoren, zum Teil V12, mit Leistungen um und über 700 PS, die auf Autobahnen Rekorde bis etwa 430 km/h erzielen.

– Auto Union nutzt vor allem den Typ C als Basis für Bergrennrpezialversionen: kürzerer Radstand, andere Übersetzungen, teilweise Zwillingsbereifung hinten. Besonders Hans Stuck wird damit zum „Bergkönig“.

Diese Fahrzeuge sind rein technisch betrachtet oft noch extremer als die Grand-Prix-Wagen. Der Grenzbereich ist schmal, Sicherheitszonen gibt es kaum, viele Strecken sind schlicht öffentliche Straßen.
Kapitel 8 – Nachhall: Was von diesem Wahnsinn bleibt

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 bricht die Grand-Prix-Ära der Silberpfeile abrupt ab. Viele Wagen werden zerstört oder verschwinden, einige überleben in Museen oder privaten Sammlungen.

Technisch aber lebt diese Zeit weiter:

– Das Mittelmotor-Konzept von Auto Union ist der direkte Vorläufer der Nachkriegs-Mittelmotor-Rennwagen, erst im Sportwagenbereich, später in der Formel 1.

– Die konsequente Leichtbau- und Aufladungsphilosophie von Mercedes – große Kompressormotoren, hochbelastete Fahrwerke, Transaxle-Layouts – taucht in moderner Form in vielen späteren Renn- und Sportwagen wieder auf.

– Die 750-kg-Silberpfeile bleiben Maßstab, wenn es um Leistungsdichte geht: 600+ PS bei rund 750 kg und Reifen, die aus heutiger Sicht eher an schmale Oldtimer-Gummis erinnern.

Am Ende ist diese Ära eine Gratwanderung zwischen Ingenieurskunst und Wahnsinn. Für die Fahrer bedeuteten die Autos Lebensgefahr auf jedem Meter – für die Technik sind sie bis heute Lehrstücke dafür, was möglich wird, wenn man brillanten Ingenieuren sehr viel Freiheit und Geld gibt.

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