Die Rosemeyers

Client Name Seven
Feuerball
1936
Der Morgen über Karthago ist hell und klar, als die Mechaniker den Staub von den Silberpfeilen wischen. Schon früh füllt sich die provisorische Tribüne mit europäischen Kolonialbeamten, Offizieren der französischen Armee und neugierigen Tunesiern, die sich in langen Reihen an den Strohballen drängen. Das Surren der Kompressoren liegt wie ein Versprechen in der warmen Luft. Der 17. Mai 1936 beginnt als Festtag des Motorsports – und endet doch als schwerer Schlag für eine Mannschaft, die zu siegen schien, bevor das Rennen überhaupt begonnen hatte.
12 Kilometer misst der Dreieckskurs zwischen Tunis und Karthago: eine flache, staubige, fast schon unwirklich schnelle Bühne für den modernsten Rennsport der Welt. Hier, wo einst die Legionen Roms marschierten, drehen nun die 750-Kilo-Monster der europäischen Großmächte ihre Runden. Für das Publikum, das in Sommervollmontur im Schatten spärlicher Sonnensegel steht, ist das Spektakel so exotisch wie hypnotisierend: Palmen, Meerwind, klirrende Hitze – und mitten hindurch die dröhnenden Maschinen mit jenen Fahrern, die Europas Gesellschaft bereits zu Helden stilisiert hat.
An der Spitze dieses neuen Heldentums steht Bernd Rosemeyer. Er ist die neue Sensation im Grand-Prix-Zirkus: ein Naturtalent, das erst im Vorjahr in die große Szene gestürmt ist und mit seinem kompromisslosen Stil selbst Routiniers wie Rudolf Caracciola in Verlegenheit bringt. Sein Auto, der Auto Union Typ C, ist ein radikaler Entwurf – der mächtige 6-Liter-V16 sitzt hinter dem Fahrer, ein technisches Experiment, das ebenso schnell wie temperamentvoll ist. Auf Kursen wie dem von Karthago, mit seinen langen Geraden und wenigen Richtungswechseln, wirkt dieser Wagen wie geschaffen für Rekorde.
Das Training bestätigt Rosemeyers Nimbus. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 166 km/h sichert er sich die Pole Position. Neben ihm steht Achille Varzi, sein vornehmer italienischer Teamkollege, dahinter Hans Stuck – drei Auto-Union-Wagen in den ersten drei Startplätzen. Ein unmissverständliches Statement. Mercedes ist zwar da, mit Caracciola und Chiron, aber nicht auf Augenhöhe, was die reine Geschwindigkeit betrifft. Alfa Romeo und Bugatti hoffen eher auf die Gunst der Umstände als auf eigene Kraft.
Der Startschuss fällt wie ein Donnerschlag. Rosemeyer katapultiert sich nach vorn, Varzi im Windschatten, Stuck wenige Meter dahinter. Schon in der ersten Runde türmt sich die deutsche Heckmotor-Phalanx zu einem glänzenden Silberband auf, das die Zuschauer teils ehrfürchtig, teils ungläubig anstarren. Caracciola kämpft hinterher, bemüht, den Kontakt zur Spitze nicht abreißen zu lassen, aber auf den Geraden wirkt sein Mercedes gegen die Auto Union wie gebremst.
Runde um Runde schraubt Rosemeyer das Tempo höher, als koste ihn diese Geschwindigkeit keinen Atem. Sein Fahrstil, schon damals berüchtigt, wirkt wie das Fahren eines Mannes, der nicht bremsen kann, nur bremsen muss. Auf der langen Passage Richtung Meer steht der Wagen manchmal leicht quer, der kompressorbeatmete V16 brüllt über die Salinen hinweg. Caracciola hat später erzählt, er habe an diesem Tag gespürt, dass Rosemeyer in einer eigenen Liga gefahren sei.
Dann aber kippt die Szenerie – ohne Vorwarnung, wie so oft im Rennsport der dreißiger Jahre. In Runde zehn verliert Varzi die Kontrolle. Was genau geschieht, bleibt in den Berichten vage. Ein Reifenschaden? Ein Moment der Unachtsamkeit? Der Type C bricht aus, überschlägt sich, schlägt am Streckenrand auf. Das Auto beginnt zu brennen. Varzi, vom Feuer umzüngelt, kann sich losreißen, taumelt aus dem Wrack. Wie durch ein Wunder kommt er mit Verbrennungen, aber ohne lebensgefährliche Verletzungen davon. Sein Rennen ist beendet; das erste Silberpfeil-Opfer dieses Tages.
Nur Augenblicke später trifft es Rosemeyer. Aus der Ferne sehen Zuschauer plötzlich eine helle Flamme aus den seitlichen Öffnungen seines Wagens schlagen. Ein Leck in der Benzin- oder Ölzufuhr – später wird man darüber streiten – entzündet sich am glühenden Aggregat. Rosemeyer wirft das Auto herum, bringt es unter dramatischen Umständen zum Stehen und springt aus dem Wagen, noch bevor die Flammen sich ausbreiten. Die Szene wirkt wie ein Echo des Varzi-Unfalls, nur Sekunden versetzt. Der schnellste Mann des Tages steht am Streckenrand, rußverschmiert, frustriert – aber unverletzt. Sein Rennen ist vorbei.
Kurz darauf rollt auch Hans Stucks Auto Union mit defekter Ölpumpe aus. Was als Triumphzug begonnen hat, verwandelt sich in ein Desaster: Innerhalb weniger Minuten sind alle drei Auto-Union-Wagen aus dem Rennen gerissen.
Nun übernimmt Caracciola das Kommando. Der „Regenmeister“ ist an diesem Tag der Anti-Rosemeyer: kühl, perfekt kalkulierend, nüchtern. Sein Mercedes W25K ist nicht der schnellere Wagen, aber der zuverlässigere. Während hinter ihm Pintacuda im Alfa Romeo und Wimille im Bugatti um die Ehrenplätze kämpfen, spult Caracciola die Runden ab wie ein Uhrwerk. Nach 381 Kilometern und mehr als zweieinhalb Stunden fährt er als Sieger über die Linie – es ist einer jener typischen Caracciola-Siege, die durch kluge Mäßigung ebenso geprägt sind wie durch fahrerisches Können.
Für Rosemeyer bleibt nur der Trost, den Rundenrekord und die Pole Position gefahren zu haben. Doch solche Zahlen verblassen angesichts eines Feuers, das beinahe zur Tragödie geworden wäre.
Der Große Preis von Tunis 1936 ist mehr als ein motorsportliches Ereignis. Er ist Teil einer kolonialen Inszenierung, bei der Frankreich, Deutschland und Italien ihre technischen Leistungsversprechen auf fremdem Boden zur Schau stellen. Die Zuschauer sehen schnelle Wagen und große Namen – doch unsichtbar, aber stets präsent, blieb der politische Schatten jener Jahre. Die Silberpfeile waren nicht nur Maschinen. Sie sind Repräsentanten eines Systems, das seine Helden brauchte und ihnen zugleich alles abverlangt.
Bernd Rosemeyer ist einer dieser Helden. Sein Auftritt in Tunis passt nahtlos in die kurze, aber glühend helle Phase seiner Karriere: überragendes Talent, extreme Risikobereitschaft, technische Grenzbereiche. Drei Jahre später, 1938, wird er bei einem Rekordversuch auf der Reichsautobahn sterben – und die Propaganda wird ihn endgültig zum Mythos machen.
Doch in Tunis, an jenem heißen Maitag, bleibt von alldem nur ein Augenblick: ein junger Mann, der ein brennendes Auto verlässt, die Flammen im Rücken, den Blick auf das Meer gerichtet. Ein Held, dem die Technik den Sieg verweigert hat – und der dennoch für einen Moment schneller war als jeder andere.