top of page

Client Name Nine

Still steh'n schon die Wälder

1937

Im Bremgarten bei Bern steht heute ein stiller, dunkler Wald. Spazierwege kreuzen sich, Jogger drehen ihre Runden, Hunde schnüffeln im Unterholz. Nur wer es weiß, sieht mehr: Hier, auf diesen Straßen, schreibt Bernd Rosemeyer einen der wichtigsten Kapitel seines kurzen Rennfahrerlebens – und die Schweiz ihre ganz eigene, dramatische Motorsport-Geschichte.

Der Circuit Bremgarten ist von Anfang an ein Anachronismus – und genau das macht seinen Reiz aus. 1931 zunächst für Motorradrennen abgesteckt, führt der Kurs auf öffentlichen Straßen durch den Bremgartenwald nördlich von Bern.

7,28 Kilometer lang, ohne echte Gerade, nur aneinandergereihte schnelle Kurven, Bodenwellen, Kuppen, Senken. Die Bäume stehden dicht neben dem Asphalt, Auslaufzonen gibt es praktisch nicht. Englische und italienische Streckenporträts sprechen von einer „collection of high-speed corners“, einer Folge von Vollgasbögen, die im Wechsel von Licht und Schatten durch den Wald führen.

Autos starteten hier erstmals 1934 beim Großen Preis der Schweiz – da verunglückte der Brite Hugh Hamilton tödlich. Es war ein Vorzeichen: Bremgarten sollte einer der schnellsten, aber auch gefährlichsten Kurse Europas bleiben.

Als die Grand-Prix-Karawane im August 1935 zum zweiten Großen Preis der Schweiz anreist, ist Bernd Rosemeyer im internationalen Maßstab noch ein Neuling. Auto Union hat ihn erst im Frühjahr in die GP-Mannschaft geholt, sein wilder, instinktiver Stil sorgt aber bereits für Gesprächsstoff.

Am 25. August 1935 geht es in Bremgarten über 70 Runden – 509,6 Kilometer. Mercedes bringt den W25, Auto Union den heckgetriebenen Typ B mit V16-Kompressor, Alfetta und Maserati treten mit ihren Reihen-Achtern und -Sechszylindern an.

Das Rennen beginnt bei trockenen Bedingungen, doch der Bremgartenwald ist launisch: Im Verlauf setzt Regen ein, der Belag wird schlüpfrig. Mercedes ist mit den besseren Regenreifen gerüstet, und so entfaltet Rudolf Caracciola sein ganzes Können im Nassen. Am Ende gewinnt er vor Luigi Fagioli – Doppelsieg für Daimler-Benz.

Rosemeyer hält dagegen, kämpft sich durch das Feld, ringt den nervösen Hecktriebler über die Bögen von Eymatt, Jorden, Glasbrunnenrampe. Er wird Dritter – ein Podestplatz, der in den damaligen Berichten ausdrücklich als Durchbruch des jungen Deutschen gewertet wird.

Für Bremgarten ist es ein starker Einstand: Das Rennen zählt zur Fahrereuropameisterschaft, die Strecke ist schlagartig in einem Atemzug mit Spa, Nürburgring und Monza genannt.

Ein Jahr später ist die Ausgangslage völlig anders. Bernd Rosemeyer hat bereits das Eifelrennen gewonnen, Auto Union bringt den neuen Typ C an den Start: sechs Liter Hubraum, rund 520 PS, ein Monstrum von Rennwagen.

Am 23. August 1936 steht Bremgarten als dritter Grande Épreuve der Saison im Kalender – wieder ein Lauf zur Europameisterschaft. Die Pole holt sich Caracciola im Mercedes, aber schon beim Start ist klar: Rosemeyer ist hier in seinem Element. In den ersten Runden wechselt die Führung, Caracciola verteidigt sich hart, so hart, dass die Sportkommissare ihm Blaue Fahnen zeigen – eine Rarität in dieser Zeit.
Dann beginnt Rosemeyer, den Wald zu diktieren. In Runde 15 fährt er eine Runde in 2:34,5, Schnitt 169,6 km/h – die schnellste Runde des Tages und bis in die frühen Fünfziger hinein der Maßstab für den Bremgarten-Kurs. Caracciola plagen technische Probleme am Gasgestänge, während Rosemeyer vorne einen unerreichbaren Rhythmus anschlägt.

Nach 50 Runden ist es amtlich: Sieg für Bernd Rosemeyer, dahinter Hans Stuck und Achille Varzi – der erste Dreifachsieg für Auto Union überhaupt. Für die Silberpfeil-Hierarchie ist das ein Paukenschlag, für Rosemeyer ein Karriere-Meilenstein.

Dieser Bremgarten-Sieg ist mehr als nur ein Strich in der Ergebnisliste. 1936 zählt nur eine Handvoll Großer Preise zur Europameisterschaft – unter anderem Deutschland, Schweiz, Italien. Rosemeyer gewinnt sie alle. Bremgarten ist ein Drittel dieses Titels, aber psychologisch vielleicht der wichtigste Baustein: Hier, auf neutralem Boden, schlägt er Caracciola im direkten Duell.

1937 kehrt der Tross wieder in den Bremgartenwald zurück. Mercedes setzt nun den neuen W125 ein, jenes Auto, das als einer der stärksten Grand-Prix-Wagen aller Zeiten gilt. Caracciola steht mit Startnummer 14 in der ersten Reihe, neben ihm die Auto Union von Rosemeyer und Hans Stuck
Doch für Rosemeyer wird es ein schiefes Rennen. In der ersten Runde gerät er in Schwierigkeiten, nimmt fremde Hilfe in Anspruch – damals gemäß Reglement ein Disqualifikationsgrund. Offiziell ist sein Wagen damit aus dem Rennen.

Der Kampfgeist ist echter Stoff aus den Dreißigern: Rosemeyer steigt später in den Auto-Union von Tazio Nuvolari um. Fahrerwechsel sind noch erlaubt, und so bringt das Duo den Wagen auf Platz 5. In den Statistiken taucht der Lauf als weiterer Mercedes-Dreifachsieg auf – Caracciola vor Lang und von Brauchitsch –, aber in der Randnotiz steht: Schnellste Runde des Rennens: Bernd Rosemeyer.

Es ist die letzte große Bremgarten-Episode des Deutschen. Wenige Monate später, im Januar 1938, verunglückt er bei Rekordfahrten auf der Autobahn Frankfurt – Darmstadt tödlich.

Bremgarten ist für die Schweiz mehr als nur eine Rennstrecke. Ab 1934 ist der Kurs Austragungsort des Großen Preises der Schweiz, zunächst in der Vorkriegs-Grand-Prix-Formel, nach 1947 dann wieder als internationale Großveranstaltung.

Mit Beginn der Formel 1-WM 1950 wird der Schweizer Grand Prix offizieller WM-Lauf. Bis 1954 finden fünf Weltmeisterschaftsrennen auf dem Bremgartenring statt. Die Siegerlisten lesen sich wie ein Who’s who: Giuseppe Farina, Juan-Manuel Fangio, Alberto Ascari. Bremgarten ist ein fester Bestandteil des WM-Kalenders wie Spa oder Reims.

Parallel dazu ist der Bremgartenkurs auch im Motorrad-Grand-Prix gesetzt. 1949, im ersten Jahr der Motorrad-Weltmeisterschaft, gastiert die Serie in Bern – später noch mehrfach bis 1954. Der Italiener Omobono Tenni kommt 1948 bei Trainingsfahrten im Abschnitt Eymatt ums Leben, 1948 sterben außerdem Christian Kautz und Achille Varzi bei Autounfällen in Bremgarten.

Die Liste der Opfer, kombiniert mit der Streckencharakteristik – hohe Geschwindigkeiten, keine Auslaufzonen, Bäume direkt am Rand – machen Bremgarten zu einem Synonym für Risiko. Viele internationale Autoren ordnen den Kurs in einer Reihe mit Spa-Francorchamps alter Prägung, dem alten Nürburgring oder der Isle of Man ein: großartige Fahrerstrecke, aber gnadenlos, wenn etwas schiefgeht.
Am 11. Juni 1955 geschieht in Le Mans die Katastrophe: Der Mercedes von Pierre Levegh fliegt nach einer Kollision in die Zuschauer, über 80 Menschen sterben. Die Schweiz reagiert härter als andere Länder. Noch im selben Jahr verbietet sie per Gesetz öffentliche Rundstreckenrennen mit Zuschauern – Artikel 52 des Straßenverkehrsgesetzes.

Damit ist der Bremgartenring schlagartig Geschichte. Der für 1955 geplante Schweizer Grand Prix findet nicht mehr statt. Die Strecke verfällt, Teile werden bei Straßenumbauten und später durch den Bau der Autobahn überformt. Schon in den sechziger Jahren ist Bremgarten eher Erinnerung als realer Ort.
Das Rundstreckenverbot bleibt über Jahrzehnte unangetastet. Erst in den 2010er- und 2020er-Jahren wird es teilweise wieder aufgeweicht – die Schweiz erlaubt unter Auflagen wieder Rundstreckenrennen für Elektroautos, auch wenn klassische permanente Kurse wie Bremgarten nicht zurückkehren.

Heute erinnern nur noch Gedenkveranstaltungen und historische Tafeln an die großen Tage des Bremgartenrings. Lokale Initiativen rekonstruieren den Kurs auf alten Karten, veranstalten Memorial-Fahrten auf den noch existierenden Straßenstücken, streiten sich um die korrekte Linienführung zwischen Forsthaus, Eymatt und Glasbrunnenrampe.

In der internationalen Literatur aber ist der Name Bremgarten untrennbar mit einem anderen Namen verbunden: Bernd Rosemeyer.

– 1935: erstes großes Podium in der Schweiz, hinter Caracciola und Fagioli.
– 1936: dominanter Sieg, schnellste Runde, Dreifachsieg für Auto Union – ein Schlüsselstein der Europameisterschaft.
– 1937: sportlich verkorkstes Rennen, Disqualifikation – und doch wieder die schnellste Runde.

Bremgarten ist der Kurs, auf dem der instinktive, furchtlose Fahrstil des Deutschen besonders greifbar wird. Ein Wald ohne Geraden, ein Auto mit 500-Plus-PS im Heck, ein Fahrer, der mehr fühlt als rechnet – in dieser Konstellation liegt ein Teil des Rosemeyer-Mythos begründet.

Und so ist der Bremgartenwald heute nicht nur ein Naherholungsgebiet vor den Toren Berns. Für jene, die hinschauen, ist er ein Naturdenkmal des Motorsports – mit einem Echo, in dem noch immer das ferne Heulen eines V16 klingt.

bottom of page