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Einstand mit Karacho

Seine ersten Runden dreht Bernd Rosemeyer auf ungewöhlichem Geläuf – bei Grasbahnrennen ganz oben im Nordwesten.

Bernd Rosemeyers erstes echtes Grasbahnrennmotorrad.

Oldenburg-Ohmstede. Früher Vormittag. Auf der grünen Bahn liegt noch Tau. Die Pferderennbahn in der heutigen Universitätsstadt zwischen Bremen und Ostfriesland wirkt verschlafen, als wolle sie gar nicht glauben, dass hier in wenigen Stunden Motoren heulen sollen. Doch hinter den Holzbarrieren drängeln sich schon die Neugierigen. Grasbahnrennen. Ein großes Wort damals. Und heute fährt einer mit, den hier noch keiner kennt: ein schlaksiger Bursche aus Lingen. Bernd Rosemeyer.

Er kommt auf einer Zündapp, die aussieht, als hätte jemand ein Straßenmotorrad in ein Abenteuer geschubst – 300er-Rahmen, größerer 350-Kubikzentimetermotor, 15 PS, alles ein bisschen improvisiert, aber hungrig. Gebaut hat das Gefährt der Oldenburger Händler Georg Schwarting. Der brauchte dringend einen Fahrer. Rosemeyer sagt zu. Ohne Theater. Ohne Vertrag. Einfach so, weil er Lust hat auf Geschwindigkeit.

Die Luft über dem Rennplatz flimmert. Die Zuschauer rücken enger zusammen. Kinder klettern auf die Banden. In der Ferne ruft ein Lautsprecherstimme Namen, die niemand kennt. Egal. Die Menge will Action. Und bekommt sie.

Rosemeyer tritt an. Helm tief im Gesicht. Die Maschine brummt. Dann fällt das Startzeichen – und der Lingener schießt los, als hätte er seit Jahren nichts anderes getan. Die Zündapp tänzelt über die bucklige Grasbahn, Schleudern, Fangen, wieder Schleudern. Doch Rosemeyer bleibt locker. Körper leicht, Blick weit, Hände ruhig. Als wüsste er genau, wo die Linie liegt, die alle anderen suchen.

Grasbahnrennen sind heute wie damals in der Region unheimlich populär. Zwar gibt es auf der Pferdrennbahn in Ohmstede keine Veranstaltungen mehr – dafür aber im größeren Umkreis, etwa inSchwarme kurz hinter Bremen oder in Werlte, 50 Autominuten von Rosemeyers Heimatstadt Lingen entfernt. Und die Rennen auf den schnellen Ovalkurven gehorchen immer den gleichen Gesetzen: Es geht stets nur linksrum. Die Grasnarbe auf der Bahn wird von den Hinterreifen aufgerissen; es bilden sich Rillen und Unebenheiten.

Echte Könner nutzen diese Rillen. Sie haken ihr Hinterrad genau so präzise an die Kante einer solchen Rille, dass es daran extra Grip findet. Das katapultiert das Bike nach vorn. Deswegen werden die Rillen auf einer Gras- oder Speedwaybahn auch Schrittmacher genannt. Es gilt die alte Weisheit: Jede Rille macht 'nen Meter.

Rosemeyer kennt diesen Expertenschnack noch nicht, als er in Oldenburg erstmals in ein Elitefeld geworfen wird. Doch sein Gespür für Fahrdynamik und seine Fahrzeugbeherrschung lassen ihn instinktv das Richtige tun: Rillen suchen und kontrolliert nutzen – statt einfach nur über sie hinwegzuhoppeln.

Runde um Runde zieht er davon. Die Zuschauer brüllen. Manche glauben, der junge Mann müsse verrückt sein. Andere merken: Der hat Talent. Viel Talent. Als er durchs Ziel kommt, ist der Vorsprung brutal. Minuten später gewinnt er auch die nächste Klasse. Zwei Starts. Zwei Siege. Ein Name, der plötzlich in aller Ohren ist.

Auf dem Rennplatz von Ohmstede beginnt an diesem Tag etwas, das keiner ahnt. Die Leute gehen nach Hause und erzählen vom „verrückten Lingener“, der alle nassmacht. Schwarting weiß, was er gesehen hat. Und Rosemeyer? Der steht neben seiner aufgeheizt vor sich hin kinsternden Zündapp, wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht – und grinst.

Hier, auf dieser unscheinbaren Grasbahn, startet seine Laufbahn. Genau hier beginnt die Legende.

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